Mitte April war es dann endlich soweit: Eine Mitteilung auf unserem Anrufbeantworter informierte uns, dass drei junge Uhus ihr Nest putzmunter verlassen hatten und - noch flugunfähig - in der Umgebung herum'turnten'. Noch am selben Abend fuhren wir mit Ferngläsern bewaffnet in den Steinbruch - und hatten Glück...
Für einen kurzen Moment zeigten sich erst zwei, dann sogar alle drei Jungvögel und sahen von hoch oben aus der Wand auf uns herab. Das in diesem Augenblick eine lang andauernde Freundschaft mit ihnen beginnen würde, war uns noch nicht klar, dass uns die "Faszination Uhu" spätestens zu diesem Zeitpunkt gepackt hatte, war jedoch sicher!
Der Lebensraum der Uhus konzentriert sich auf einen aufgegebenen Steinbruch, in dem bereits Birken und auch Eschen wachsen, dazwischen Brombeeren und Wildrosen. Zwischen den Steinen, auf Vorsprüngen und in Spalten, haben sich viele Pflanzen etabliert, die im Sommer teils wunderschön blühen.
In der Wand, auf die die Sonne am längsten scheint, befindet sich ihr Nistplatz, eine Felsnische, verborgen hinter ein paar Büschen, aber mit freier Anflugschneise und gutem Überblick auf das Revier. Die Uhus halten sich gerne hinter den schattigen Büschen auf und wir sind immer wieder überrascht, wie gut sie ihr rindenbraunes Federkleid dabei tarnt. Anfangs haben wir die Tiere – wenn überhaupt – nur nach langer Suche entdeckt. Mittlerweile wissen wir, wo sie sich bevorzugt aufhalten und worauf wir achten müssen, um sie zu finden.
Uhus sind nachtaktive Vögel, die ihr Tagesversteck bei Sonnenaufgang beziehen und normalerweise erst bei Sonnenuntergang wieder verlassen. Um sie zu fotografieren haben wir meist nur eine Stunde, manchmal etwas länger. Ansonsten freuen wir uns schon, wenn sie gelegentlich mal mit den Augen blinzeln, ihr Gefieder pflegen oder einen Flügel recken. In seltenen Fällen gelangen uns auch über Tag Beobachtungen – dies vor allem im späten Frühjahr, wenn die Altvögel bei der Fütterung des Nachwuchses am aktivsten sind.
Die Uhus haben uns im Laufe der Zeit mehr und mehr in ihren Bann gezogen: Gemeinsam mit zwei befreundeten Fotografen trafen wir uns regelmäßig bei "unseren" Uhus, verabredeten uns, wer wann vor Ort war und tauschten aus, was es Neues gab. Wir nahmen uns vor, das Leben der Uhus und dabei vor allem auch das Aufwachsen und Flüggewerden des Nachwuchses zu beobachten und fotografisch zu dokumentieren. Aktuelle Fototechnik lässt dabei auch bei wenig Licht noch akzeptable Verschlusszeiten und AF-Leistungen zu, so dass wir zu Aufnahmen gelangten, die noch vor zwei Jahren unmöglich erschienen.
Fortan haben wir – meist abwechselnd – viele Stunden bei den Uhus verbracht, erlebt, wie die Altvögel balzen, ihren Rufen gelauscht, erlebt, wie die weißgelblich bedaunten Nestlinge vielleicht zum ersten Mal den Nistplatz wirklich verließen und ihre ersten tappsigen Ausflüge in die unmittelbare Umgebung unternahmen – noch zu Fuß, fliegen konnten sie noch nicht. Wir verfolgten, wie ihr Federkleid wuchs – zuerst an den Schwingen, erst später am Körper und am Kopf, wie sie ihre ersten Flugversuche unternahmen und dabei so manche Bruchlandung hinlegten und nicht wussten, wie sie von dem Zweig oder dem Vorsprung, den sie angeflogen hatten, wieder wegkommen sollten. Wir haben mitbekommen, wie sie von den Altvögeln gefüttert wurden und wie sie sich später die vom Muttertier in den Felsen abgelegte Beute selber suchen mussten – mal Igel, oft Ratten und Tauben, aber auch mal ein Kaninchen - wie sie alles hinunter schlangen, was die Altvögel ihnen vor den Schnabel hielten und wie sie dann mit den Speiballen, den unverdaulichen Resten der Nahrung, zu kämpfen hatten, wenn sie diese auswürgten. Etwa im Juni unternahmen die Ästlinge erstmals eigene Jagdversuche, begnügten sich dabei aber noch mit Käfern, die sie vom Boden auflasen. Im Juli fingen sie dann an, am Fuß des Steinbruches Mäuse zu jagen – ab und an sogar erfolgreich. In etwa zur gleichen Zeit unternahmen sie ihre ersten weiteren Ausflüge. An manchen Tagen sahen und hörten wir sie dann überhaupt nicht – wir vermuten, das sie dann den Steinbruch erstmals tageweise verlassen hatten, vermutlich um die Jagd auf größere Beute zu erlernen.
Um diese Zeit haben sie von ihrem anfangs einfarbigen Dunenkleid bereits in das uhutypische Federkleid gewechselt. Selbst die Federohren waren ihnen jetzt schon gewachsen, so dass sie nur noch bei genauerem Hinsehen von den Alttieren zu unterscheiden sind.
Im Laufe der Zeit haben sich die Uhus an uns gewöhnt. Manchmal erlebten wir, dass sie auf uns zuflogen, sich nur wenige Meter vor uns absetzten und uns neugierig taxierten. Andere Male mussten wir schon den Kopf einziehen, so dicht flogen sie über uns hinweg, um dann in einer Birke hinter unserem Rücken aufzubäumen. Manchmal kommen sie so nah an uns heran, dass sie die Naheinstellgrenze unserer Teleobjektive unterschreiten. Wir schauen dann – oft auf dem Boden liegend – über unsere Kamera hinweg den Tieren zu und wissen, dass wir hier etwas ganz Besonderes erleben dürfen, was wir sicher unser Leben lang nicht vergessen werden. Dabei waren es immer wieder auf's Neue die in Abhängigkeit vom Lichteinfall mal bernsteingelben, mal glutroten, starr nach vorn gerichteten Augen, die uns so oft eindringlich beobachten und faszinierten und die einen großen Teil der ausdrucksstarken Mimik ausmachen, die diese großen Eulen an sich haben.
Uns ist bewusst, dass wir hier wilden Tieren begegnen, deren Vertrauen wir gewonnen haben, in dem wir viele viele Stunden bei ihnen verbrachten. Ausgewachsene Uhus haben in unseren Breiten außer dem Menschen keine natürlichen Feinde und daher von vornherein schon eine wesentlich geringere Fluchtdistanz als die meisten anderen Tiere. Wir achten in jedem Moment unserer Beobachtungen darauf, die Vögel nicht zu stören. Es gibt Tabuzonen, die wir nicht überschreiten. So klettern wir zum Beispiel nicht in die Wand. Ebenso achten wir stets darauf, hektische Bewegungen zu vermeiden. Sobald wir merken, dass die Vögel nervös werden, sich z.B. verschlanken oder auch nur ihre Federohren aufrichten, nehmen wir Abstand. Wir wollen die Tiere auf keinen Fall vergrämen. Unsere Aufnahmen sollten nicht über die heimliche Lebensweise der Vögel täuschen. Dort, wo unsere Aufnahmen entstehen, haben sich die Vögel zwischenzeitlich an uns gewöhnt. Das Uhu-Pärchen wird seit vielen Jahren von einer kleinen Gruppe engagierter Leute beobachtet und betreut. Auch wir haben in den letzten beiden Jahren sehr viel Zeit dort verbracht, so dass die Vögel uns akzeptiert haben und sich in ihren natürlichen Aktivitäten nicht mehr stören lassen. Es wäre allerdings falsch, daraus zu schließen, dass Uhus gegenüber Störungen unempfindlich sind - gerade das Gegenteil ist der Fall und sollte bei jeder Beobachtung und jedem Kontakt zu den Tieren entsprechend berücksichtigt werden...
Im 2009 haben wir die Jungvögel bis Mitte September im Steinbruch beobachten können, danach sind sie wohl ausgeflogen. Wir haben uns gefreut, als wir im März 2010 erlebten, wie "die Alte" - wie wir sie liebevoll nennen – wieder auf ihrem Nest saß, nur ein paar Meter vom vorjährigen Nistplatz entfernt. Uhus sind zwar sehr standorttreu, in manchen Jahren können sie aber auch ohne ersichtlichen Grund mit der Brut aussetzen. Das Weibchen brütet generell alleine. Dabei sitzt sie hinter einem Busch verborgen, meist den Kopf mit den verräterisch leuchtenden Augen von der Talseite abgewandt in ihrer Mulde unter einem kleinen Felsvorsprung. Wer nicht weiß, dass sie hier brütet, wird sie dort nicht finden. Versorgt wird sie vermutlich vom Männchen, das über Tag – dem Nest zugewandt - meist in einer Entfernung von 300 bis 400 Metern in der gegenüberliegenden Wand sitzt und über den Brutplatz wacht. Auch in 2010 waren es zunächst wieder drei Jungvögel. Ein Ästling ging Mitte Juni verloren, was traurig, aber nicht ungewöhnlich ist. Von den anderen beiden konnten wir erleben, wie sie nach uns nach selbständiger wurden und irgendwann das elterlichen Revier verließen. Sie waren kräftig und wir hoffen, dass sie dazu betragen, den Bestand der Uhus weiter zu sichern. Wir werden sie jedenfalls mit Freude weiter beobachten...
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